Mit Mahnwachen an Stolpersteinen und Denkzeichen wollen wir als Initiative OMAS GEGEN RECHTS.DRESDEN einen Beitrag zur Erinnerungskultur und Mahnung in der Gegenwart leisten. Das Erinnern an das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte darf nicht verstummen!
Nachfolgend einige sehr persönliche Eindrücke von unserem diesjährigen Mahngang zum Gedenken an die Pogromnacht 1938.
Unser Mahngang durch die Innenstadt, die Mahnwachen an den Stolpersteinen und Gedenkzeichen und die empfindsame Atmosphäre in unserer Gruppe haben mich tief bewegt.

Zu Beginn erlebten wir das Engagement zahlreicher Jugendlicher, als an der Kreuzkirche der “Weg der Erinnerung” eröffnet wurde. Seit 30 Jahren wird dieser Fahrradkorso von der evangelischen und katholischen Jugendarbeit in Dresden gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde Dresden und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit veranstaltet. Er führt die Jugendlichen jedes Jahr unter einem anderen Thema zu Spuren jüdischen Lebens in Dresden. Unsere Teilnahme an der Eröffnung war für mich ein Bild dafür, dass das Erinnern und Gedenken in den nächsten Generationen wachgehalten wird.
Auch dass mehrmals Eltern bewusst innehielten und mit ihren Kindern sprachen, war gut zu erleben. Ein junges Paar ist ein paar Stationen mit uns gegangen. Auch andere Passantinnen und Passanten haben sich eine Weile angeschlossen. Zwischen einigen Stationen sind wir richtig aufgefallen.
Ein besonders schönes Erlebnis hatten wir auf der Wallstraße: Eine Mutter mit ihren kleinen Kindern hatte zwei unserer Rosen wahrscheinlich an den Stolpersteinen Wallstraße 9 aufgehoben. Als sie uns am Stolperstein an der Wallstraße 1 sah und erkannte, dass die Rosen auf dem Pflaster liegen sollten, gab sie uns die beiden Rosen wieder. Die Frau war erkennbar muslimischen Glaubens.
Die von uns aufgesuchten Stolpersteine verschwinden dank unseres Putzeinsatzes nun erst einmal für einige Wochen nicht mehr im Grau des Pflasters. Der Glanz des Messings ist auch ein Zeichen für Hoffnung, ein Zeichen gegen das Vergessen.



Als Gruppe ist es uns an diesem Tag jeweils für einige Minuten gelungen, die Gedenkorte sichtbar zu machen. Die Rosen, die wir an den Steinen niederlegten oder an die Gedenktafeln steckten, werden nun ein paar Tage besonders auf die Orte hinweisen.
Astrid
Gedenken und Mahnung an die Verbrechen des Holocaust und die Erinnerung daran, wie es dazu kommen konnte, berühren mich immer sehr.
Entsetzt hat mich allerdings ein Vorkommnis während unseres Mahngangs zum Gedenken an die Pogromnacht 1938. Wir gingen zu einigen Stolpersteinen und erinnerten an umgebrachte oder vertriebene jüdische Bürgerinnen und Bürger. Auch am Gedenkstein für Anna Pick (Wallstraße 1) blieben wir im stillen Gedenken stehen.
Doch wir wurden gestört. Nachdem ein älterer Mann an uns vorbeigegangen war, rief er auf einmal laut und deutlich: “Es wird Zeit, dass wir Euch den Garaus machen!”. Wir waren alle entsetzt und kurz erstarrt. Da er zügig weiterlief, konnten wir ihn nicht zur Rede stellen. Wir haben online Anzeige bei der Polizei erstattet. Noch am Sonntagabend erfolgte die Bearbeitung der Anzeige mit einer Zeugenaussage. Dieser Vorfall zeigt anschaulich, was im Moment durch den Rechtsruck in der Gesellschaft leider von manchen Menschen wieder als sagbar betrachtet wird.
Zum Glück haben wir während unseres Mahngangs mehr Zuspruch von Menschen erhalten als Ablehnung. Ein jüngeres Paar schloss sich uns sogar eine Zeit lang an. Das und auch die vielen jungen Menschen beim zeitgleich stattfindenden Fahrradkorso “Weg der Erinnerung” macht mir Mut für die Zukunft.
Uta

Die erste Station: Wir knien uns nieder, um die schwarz gewordenen Stolpersteine wieder blank und lesbar zu putzen. Sehr angemessen finde ich das – was sonst können wir heute am 9. November Besseres tun, als diesen Menschen stellvertretend für viele Tausend Dresdner Jüdinnen und Juden wenigstens die Ehre der Erinnerung zuteilwerden zu lassen? Als Christin hoffe und bete ich, dass Ihnen am Ende aller Tage Gerechtigkeit zuteilwird. Keine Träne ist bei Gott vergessen, er sammelt sie und verwandelt sie in ein Morgen.
Danach legen wir ein paar weiße Rosen nieder und stellen wir uns schweigend im offenen Kreis um die Steine, über die kaum noch jemand stolpert. Ein junges Paar stellt sich nachdenklich dazu.

“Was machen die da?”, fragt ein kleiner Junge und wird schnell weggezogen. “Das erklär’ ich Dir später”. Als der Opa unseren vorbereiteten Flyer (großer Dank an Astrid!) widerstrebend annimmt und eigentlich schon weitergehen will, lässt er sich von dem Kind doch nochmal an die Steine mit den Namen der deportierten und ermordeten Jüd*innen ziehen. Jetzt lesen beide.
Die meisten Leute aber eilen an allen Stationen vorüber, den Blick starr geradeaus richtend, wenn sie erkennen, worum es geht. Es ist deutlich: Sie wollen mit dieser unfassbaren und erdrückenden Schuld, von der Helmut Schmidt gesagt hat, man werde sich ihrer noch 100 Generationen später erinnern, nichts mehr zu tun haben. Manche verstehen auch gar nicht, worum es geht: Da bringt uns die islamische Mutter einer vierköpfigen kleinen Kinderschar freundlich lächelnd eine auf einem Stein abgelegte Rose zurück, weil sie glaubt, wir hätten sie auf unserem Weg verloren.
Aber wir werden auch angeschrien: “Wir werden euch bald den Garaus machen!”
Auch wenn die meisten uns ignorieren und so tun, als hätten sie uns gar nicht gesehen – wer weiß schon, was in ihren Köpfen wirklich vor sich geht?
Sigrid
